E. Langthaler u.a. (Hgg.): Reguliertes Land

Cover
Titel
Reguliertes Land. Agrarpolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1930-1960


Herausgeber
Langthaler, Ernst; Redl, Josef
Reihe
Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes 2005
Erschienen
Innsbruck 2005: StudienVerlag
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
€ 29,00
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Kiran Klaus Patel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die klassische Festschrift befindet sich scheinbar auf dem Rückzug. Als Grablege verstreuter Artikel, die sich allein deswegen zwischen zwei Buchdeckeln wieder finden, weil die versammelten VerfasserInnen in irgend einem Verhältnis zum Jubilar stehen, befand sie sich schon lange in einer Sinnkrise. Der Versuch, im Rahmen eines solchen Bandes Kohärenz zu stiften, dürfte durch die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, in denen sich die Zahl der Forschungsfelder und der Ansätze potenziert hat, noch schwieriger geworden sein als früher. Auch die Verlage zeigen immer weniger Interesse an diesem Genre. Gleichzeitig häufen sich die runden Geburtstage aufgrund der Emeritierungswelle jener „langen Generation“ von HistorikerInnen, die während der Expansion der Universitäten in den frühen 1970er-Jahren auf die Lehrstühle kam. Was also tun? In den allermeisten Fällen endet man doch bei irgendeiner Form von Festschrift. Die wohl von Knut Borchardt stammende, launige Idee, eine Zeitschrift mit dem Titel „Festschrift“ zu gründen, in der allein die besseren der in diesen Werken gewöhnlich versammelten Texte abzudrucken wären, hat noch niemand aufgegriffen.1 Auch unkonventionelle Beiträge zum Genre sind ebenso anregend wie selten.2 Stattdessen gibt es einen Trend zur kaschierten Form: Ein scheinbar normaler Sammelband erweist sich auf den zweiten Blick als Ehrung eines verdienten Wissenschaftlers.

Um just dieses Modell handelt es sich bei dem vorliegenden Werk, das dem Leiter des im österreichischen St. Pölten angesiedelten Ludwig-Boltzmann-Instituts für die Geschichte des ländlichen Raumes, Ernst Bruckmüller, zum 60. Geburtstag gewidmet ist. Rührigkeit von Institut und Jubilar zeigt sich schon daran, dass man weitere Synergieeffekte genutzt hat: Der vorliegende Band erscheint außerdem als Jahrbuch des Instituts und fasst die Ergebnisse einer Konferenz aus dem Jahr 2004 sowie eines Symposiums zusammen.

„Reguliertes Land“ versteht die 30er, 40er und 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts als agrarpolitische Wendezeit, in welcher der Regulationsgrad im Agrarsektor dramatisch angestiegen sei. Ernst Langthaler umreißt in der Einleitung einen breit angelegten Begriff der Regulation, die über den Bereich der politischen Entscheidungsträger und ihrer Umfeldorganisationen auch „die ländlichen Netzwerke, die Haushalte und Betriebe, die weiblichen und männlichen Körper“ (S. 10) umfasse. Zugleich sei Agrarpolitik eingebettet in andere Regulationssysteme, zwischen denen wechselseitige Dynamiken herrschten. Langthalers Problemaufriss gelingt es außerdem, die Ergebnisse der in dem Band versammelten empirischen Studien souverän zusammenzuführen. Die Einleitung sowie die folgenden Aufsätze identifizieren drei Wege der Agrarregulation als Teil einer Geschichte der europäischen Agrarpolitik im 20. Jahrhundert. Gemeinsam war den hier untersuchten Gesellschaften eine Phase agrarpolitischer Interventionen, in der über die bisherige Politik des Außenschutzes der nationalen Landwirtschaften hinaus auch Binnenmärkte und Betriebsstrukturen reguliert wurden. Zeitlich setzten diese Maßnahmen unterschiedlich ein – in der Schweiz für gewisse Produkte bereits im Ersten Weltkrieg, in Deutschland dagegen erst in der späten Weimarer Republik, um dann während der NS-Zeit deutlich verschärft zu werden. Auch bezüglich der Prioritäten ging man verschiedene Wege: Während etwa in der Schweiz die Konsumenteninteressen stets im Vordergrund standen, orientierte sich Österreich eher an den Produzenten. Gemeinsam war allen drei Gesellschaften wiederum – trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ordnungen – die Ausweitung staatlicher Intervention, die schließlich systemunabhängig zur Sonderstellung des Agrarbereichs im politisch-ökonomischen System führte.

Eine weitere Welle der Agrarprotektion machen die Beiträge in den 1950er-Jahren aus. Während diese im östlichen Teil Deutschlands im Wesentlichen durch politisch-ideologische Vorgaben vorangetrieben wurde, spielte ansonsten wirtschaftlicher Druck die ausschlaggebende Rolle. Jeweils waren enorme Produktivitätssteigerungen ebenso wie die Anpassung an eine standardisierte Massenproduktion die Folge, deren ökologische und andere Kosten jedoch kaum reflektiert wurden. Paradoxerweise war es trotz dieser Parallelen gerade die Agrarpolitik, mit der sich die verschiedenen Gesellschaften im Kalten Krieg voneinander abzugrenzen und zu legitimieren versuchten.

Die einzelnen Aufsätze des Hauptteils des Bandes zeigen diese Entwicklungen knapp und in den meisten Fällen überzeugend auf. Fast alle der acht Beiträge zur deutschen Geschichte fußen auf größeren, bereits publizierten Studien zum Thema, unter anderem von renommierten Agrarhistorikern wie Horst Gies (Ernährungswirtschaft im „Dritten Reich“), Ulrich Kluge (westdeutsche Agrarpolitik bis 1957) oder Arnd Bauerkämper (Agrarpolitik in der SBZ/frühen DDR). Bei den sieben Beiträgen zu Österreich liegt ein Schwergewicht auf der Zeit bis 1945; für die Zeit nach dem „Anschluss“ befassen sich gleich drei Arbeiten schwerpunktmäßig mit dem Reichsgau Niederdonau. Die Schweiz wird lediglich in zwei Beiträgen behandelt, wobei der ebenso konzise wie souveräne Überblick von Peters Moser besonders hervorzuheben ist. Überhaupt zeichnen sich die meisten Beiträge dadurch aus, dass sie eher Überblickscharakter haben, bzw. anderswo detaillierter belegte Forschungsergebnisse zusammenfassen. In diesem Sinne sind sie vor allem für denjenigen interessant, der einen relativ schnellen Einblick in die Geschichte der Agrarpolitik in den drei Ländern sucht.

Neben einer anregenden Neulektüre von Ernst Bruckmüllers Modell der Agrarmodernisierung aus der Feder von Ernst Langthaler enthält der Band außerdem ein vier Beiträge umfassendes „Forum“, in welchem die Agrargeschichte mit der Umweltgeschichte (Verena Winiwarter), der Geschlechtergeschichte (Gertrude Langer-Ostrawsky), einer interkulturell vergleichenden Globalgeschichte (Michael Mitterauer) sowie der historischen Kulturanthropologie (Norbert Ortmayr) ins Gespräch gebracht wird. In der Mischung aus konzeptioneller Reflektion und anschaulicher empirischer Konkretion ist vor allem der Beitrag von Mitterauer hervorzuheben, der die zentrale Bedeutung der Agrargeschichte für die global history herausarbeitet.

So gelungen Mitterauers und die anderen konzeptionell gehaltenen Beiträge sind, verweisen sie zugleich auf die Desiderate des Bandes: Von den Anregungen der Beiträge des „Forums“ zeigt sich das Gros der empirischen Artikel nämlich herzlich unbeeindruckt. Dabei hätte es besonders nahe gelegen, komparative Brücken über das eigene regional- oder nationalhistorisch gefasste Thema hinaus zu schlagen, vor allem natürlich zu den jeweils beiden anderen in dem Band untersuchten Ländern. Sieht man vom „Anschluss“ einmal ab, bei dem man die transfergeschichtliche Dimension beim besten Willen nicht ausblenden kann, werden auch wechselseitige Beziehungen, Einflüsse und Abgrenzungsbedürfnisse zwischen diesen benachbarten Gesellschaften kaum berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund sticht die Einleitung um so mehr heraus, die auch Ergebnisse auf komparativer und transnationaler Ebene zumindest in groben Strichen skizziert. Ähnliche Wünsche bleiben bei der Frage der Regulation offen. Sie spielt zwar in jedem Beitrag eine Rolle, steht aber keineswegs überall im Vordergrund. Nach Lektüre der Beiträge zu Österreich bleibt etwa schemenhaft, inwieweit man nach 1945 an frühere Erfahrungen anknüpfte und inwieweit es zu einem neuen Schub der Regulation kam.

Davon abgesehen ist auch von umwelt- oder geschlechterhistorischen Perspektiven recht wenig zu spüren. Man hätte gerne erfahren, wie beispielsweise der Boden, dessen Bedeutung für eine umwelthistorisch informierte Agrargeschichte Winiwarter am Beispiel der Überlegungen über das Düngen von Johannes Coler (1566-1639) kurz skizziert, sich durch die Industrialisierung und die massive Chemikalisierung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert veränderte, und welche Rolle staatliche Intervention und Regulation dabei spielte. Die Frage, wie sich Geschlechtervorstellungen und -praxen durch die Veränderungen der ländlichen Lebenswelt veränderten, klingt lediglich einmal an – bezeichnenderweise in dem Beitrag, der sich mit Vita und Œuvre des Jubilars befasst.

Unter vielen HistorikerInnen hat die Geschichte des ländlichen Raums und der Agrarpolitik den Ruf, eher langweilig zu sein. Dass dies nicht so sein müsste, zeigt dieser Band. Angesichts der hier aufgeworfenen Fragen darf man noch auf viele Festschriften für Ernst Bruckmüller und andere hoffen. Ad multos annos!

Anmerkungen:
1 Vgl. Holtfrerich, Carl-Ludwig, Zur Debatte über die Deutsche Wirtschaftspolitik von Weimar zu Hitler, in: VfZ 44 (1996), S. 199-132.
2 Vgl. etwa: Hohls, Rüdiger; Schröder, Iris; Siegrist, Hannes (Hgg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Stuttgart 2005.

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Veröffentlicht am
15.03.2006
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